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Die Kreisgrabenanlage Goseck
Die Kreisgrabenanlage von Goseck liegt knapp 40km Luftlinie von Leipzig entfernt. Dort wurde nordwestlich von der Kleinstadt Goseck gelegen im Mittelneolithikum eine Art Sonnen-Observatorium errichtet. Im Jahr 1991 wurde die Anlage entdeckt und rekonstruiert. Das Alter der Anlage wird etwa auf 7000 Jahre geschätzt; von einigen Archäologen wird sie als das älteste Sonnenobservatorium der Welt bezeichnet.
Tabelle 1: Geografische Lage (Google Earth) | ||
---|---|---|
Längengrad | Breitengrad | Höhe |
$11\overset{\circ}{.}86464\;O$ | $51\overset{\circ}{.}19825\;N$ | $\approx 160m$ |
$11^{\circ}51'52.7'' \;O$ | $51^{\circ}11'53.7'' \;N$ |
In folgenden soll die These, dass die beiden südlichen Tore der Anlage in Richtung des Sonnenaufgangs zur Wintersonnenwende zeig(t)en, mit astronomischen Berechnungsmethoden überprüft werden. Herzlicher Dank geht hier an Herrn Uwe Pilz, der die beiden Artikel »Die astronomische Bedeutung des Sonnenobservatoriums Gosek« sowie »Kreisgrabenanlage Gosek« aus den Heften des Journal für Astronomie des VdS zur Verfügung gestellt hat.
Aufbau
Die Anlage besteht aus drei konzentrischen Wällen, wobei die inneren beiden Wälle mit Palisaden bestückt waren. Der tiefste, äußere Wall hat drei Tore, wie man in der nachstehenden Grafik sehen kann.
Abb. 1: Least-Square-Fit Kreis für den äußeren Wall und gemessene Winkel
Das Bild wurde aus Google Earth exportiert und in Geogebra einkopiert. Danach wurden am äußeren Wall (grün) 34 Punkte platziert und mit einem Least-Square-Algorithmus der „beste Kreis“ für diesen Wall ermittelt, d.h. die Koordinaten des Mittelpunktes und des Radius dieses Kreises.
Die Methode ist natürlich nicht exakt, die Punkte auf dem äußeren Wall wurden so gut wie möglich von Hand gesetzt. Wie man sehen kann, ermittelt der Algorithmus den „Mittelpunkt“ nicht genau in der Mitte der kleinen quadratischen Fläche der Anlage, sondern eher an deren rechter unterer Ecke. Wie dem auch sei, die beiden großen Öffnungen im unteren Teil markieren mit großer Wahrscheinlichkeit die Azimute des Sonnenauf- bzw. -untergangs zur Wintersonnenwende, so die These. Dies soll nachfolgend mit astronomischen Methoden bewiesen werden.
Wintersonnenwende vor 6800 Jahren
Von Archäologen wird angegeben, dass die Anlage in etwa 4900-4700 v.Chr. gebaut bzw. genutzt wurde. Wir konzentrieren uns im Folgenden auf einen Mittelwert, z.B. das Wintersolstitium des Jahres $-4800$, also vor $6800$ Jahren bezüglich der Epoche $J2000$. Das entspricht dann dem Jahr 4801 v.Chr. nach dem bürgerlichen Kalender. Zu berechnen sind also die Aufgangs- und Untergangsazimute der Sonne am Tag der Wintersonnenwende $-4800$.
Sonnenwenden
Die Definition für Sonnwenden (Solstitien) bzw. Tag-Nacht-Gleichen kann man hier finden. Für die Wintersonnenwende muss die scheinbare geozentrische Länge der Sonne − korrigiert um die Effekte der Aberration und der Nutation − genau $\lambda_{\odot} = 270^{\circ}$ sein.
Julianische Tagzahl $JD$
Die Zählung des Julianischen Tages $JD$ beginnt am $1.1.-4712$ um $12:00\;UT$, dies entspricht $JD=0.00000$. Der Julianische Tag wird also für das hier gesuchte Datum negativ. J. Meeus gibt einen Algorithmus zur Berechnung des $JD$ an, sagt aber, dass dieser nicht für negative $JD$ gültig sei. Aus diesem Grund wurde $JD$ nach einer Formel aus dem Explanatory Supplement ermittelt:
$$\begin{align}JD &= 367\cdot Y \\ &- \text{int}\left(\frac{7\cdot\left(Y + 5001 + \text{int}\left(\frac{M - 9}{7}\right)\right)}{4}\right) \\ &+ \text{int}\left(\frac{275\cdot M}{9}\right) + D + 1729776.5 \end{align}\tag{1}$$ Man beachte, dass diese Beziehung nur für Daten im Julianischen Kalender gültig ist. Die $\text{int}(…)$-Funktion ist dabei die Ganzzahl-Division, entspricht also dem "Abschneiden" des Kommaanteils bei der Division. Dabei sind $Y,M,D$ das Jahr (astronomisch), der Monat bzw. der Tag des Monats samt Stundenanteil:
$$\begin{align} Y &= -4800 \\ M &= 1 \\ D &= 1 + \frac{12}{24} = 1.5 \\ \end{align}$$ \(\begin{align}JD &= 367\cdot (-4800) \\ &- \text{int}\left(\frac{7\cdot\left((-4800) + 5001 + \text{int}\left(\frac{1 - 9}{7}\right)\right)}{4}\right) \\ &+ \text{int}\left(\frac{275\cdot 1}{9}\right) + 1.5 + 1729776.5\\ &=-32142.0 \end{align}\tag{2}\)
Der Zeitpunkt der Wintersonnenwende wird nun wie folgt ermittelt:
- [1.] Berechnung der heliozentrischen Koordinaten $L, B, R$ der Erde mittels der Planetentheorie VSOP87D. Es kann auch die gekürzte Variante von J. Meeus aus den „Astronomical Algorithms“ genommen werden. Es ist auch möglich, die DE200 von O. Montenbruck und T.Pfleger zu nutzen.
- [2.] Umrechnung auf die geozentrischen Längenkoordinaten der Sonne mittels $\lambda_{\odot} = L + 180^{\circ}$.
- [3.] Korrektur dieser Längen bezüglich des FK5-Katalogs. Dies kann auch vernachlässigt werden, weil sich die Differenzen im Bereich von einigen Zehntel oder einigen Hunderdstel Bogensekunden bewegen.
- [4.] Berechnung der Nutation in Länge $\Delta\psi$ bzw. in Ekliptikschiefe $\Delta\varepsilon$ für die Epoche $-4800$.
- [5.] Berechnung der mittleren Ekliptikschiefe $\varepsilon_0$ für die gesuchte Epoche. Dabei wurde die Formel von Laskar verwendet, die für entferntere Epochen genauere Ergebnisse liefert. Mit
$$ U = \frac{JDE - 2451545.0}{3652500}\tag{3}$$
erhält man die mittlere Ekliptikschiefe in Bogensekunden
$$\begin{align} \varepsilon_0 &= 84381\overset{''}{.}448\\ &-4680\overset{''}{.}93\cdot U\\ &-1\overset{''}{.}55\cdot U^2\\ &+1999\overset{''}{.}25\cdot U^3\\ &-51\overset{''}{.}38\cdot U^4\\ &-249\overset{''}{.}67\cdot U^5\\ &-39\overset{''}{.}05\cdot U^6\\ &+7\overset{''}{.}12\cdot U^7\\ &+27\overset{''}{.}87\cdot U^8\\ &+5\overset{''}{.}79\cdot U^9\\ &+2\overset{''}{.}45\cdot U^{10}\\ \end{align}\tag{4}$$ Dieser Wert wird durch $3600$ geteilt, um Grad zu erhalten.
- [6.] Anbringung der Nutationskorrektur in Länge: $\lambda_{\odot} + \Delta\psi$, und die wahre Ekliptikschiefe ist $\varepsilon = \varepsilon_0 + \Delta\varepsilon$.
- [7.] Korrektur für die Aberration $\lambda_{\odot} -\frac{20\overset{''}{.}4898}{R}$, wobei $R$ der Abstand Erde-Sonne in astronomischen Einheiten von Punkt 1 ist.
- [8.] Die erhaltene Größe $\lambda_{\odot}$ ist nun die scheinbare geozentrische Länge der Sonne.
Es gibt dazu eine genauere Methode, die ebenfalls bei J. Meeus angeführt ist:
$$\lambda_{\odot} - \underbrace{0.005775518\cdot R\cdot \Delta\lambda}_{Aberration}\tag{5}$$
wobei $\Delta\lambda$ die tägliche Variation der Länge der Sonne bezüglich $J2000$ ist. Die Differenz zur obigen Korrektur ist aber vernachlässigbar, daher wurde die einfachere Variante genommen.
Durch Iteration der oben angeführten Berechnungen kann nun der Zeitpunkt gefunden werden, an dem die scheinbare geozentrische Länge der Sonne $270^{\circ}$ beträgt. Im vorliegenden Fall erhält man
Tabelle 2 | ||||
---|---|---|---|---|
Berechnung | Datum/Uhrzeit (TD) | $JD$ | $\lambda_{\odot}$ | $R$ Erde-Sonne |
Dieser Algorithmus | 27.01.-4800, 13:05:00 | $-32115.954861$ | $270\overset{\circ}{.}00000067$ | $1.00357487\;AU$ |
SOLEX 12.1 | 27.01.-4800, 13:07:57 | $-32115.9528125$ | $270\overset{\circ}{.}0000004$ | $1.00357614\;AU$ |
Zu beachten ist, dass diese Zeitpunkte in dynamischer Zeit $TD$ gegeben sind. Die Differenz $\Delta T$ zur Weltzeit beträgt für diese entfernte Epoche bereits $140214\;s = 1^d 14^h 56^m 54^s$. Das ist natürlich ein extrapolierter Wert mithilfe von Polynomen, daher ist er mit einer entsprechend großen Ungenauigkeit behaftet. Die Wintersonnenwende wäre damit am $25.1.\text{-}4800,\;22:11:03\;UT$ (mit Solex-Wert).
Bestimmung der Deklination der Sonne
Eine exakte Ermittlung der Sonnendeklination $\delta_{\odot}$ für den oben genannten Zeitpunkt müsste nun theoretisch über folgende Schritte berechnet werden:
Bestimmung der geozentrischen Deklination $\delta_{\odot}$ aus den Transformationsgleichungen geozentrisch ekliptikal ⇒ geozentrisch äquatorial. Dazu müsste der (geozentrische) Stundenwinkel der Sonne am Beobachtungsort berechnet werden, daraus können dann die Parallaxe und damit die topozentrischen Koordinaten der Sonne bestimmt werden.
Dieser Aufwand ist aber im Falle der Wintersonnenwende nicht nötig, da dort die Deklination der Sonne ungefähr der maximalen negativen Ekliptikschiefe entspricht. Der Fehler, der hierbei auftritt ist im Rahmen der hier gemachten Berechnung sehr gering.
Die genaue Berechnung ergibt $\delta_{\odot} = -24\overset{\circ}{.}153640$, und die wahre Ekliptikschiefe zum Zeitpunkt der Wintersonnenwende (korrigiert um die Nutation) ist $\varepsilon = 24\overset{\circ}{.}153908$. Wie man sieht ist die Differenz nur $-0\overset{''}{.}965\approx -1''$!
Für die Bestimmung des Azimutwertes des Sonnenauf- bzw. -untergangs kann nun die folgende Transformationsformel benutzt werden:
$$\sin(\delta) = \sin(h)\cdot\sin(\varphi) - \cos(A)\cdot\cos(h)\cdot\cos(\varphi)\tag{6}$$
$\delta = \delta_{\odot}$ zu Sonnenwende $\approx$ negative Ekliptikschiefe $\varepsilon = -24\overset{\circ}{.}153908$
$h = $ Höhe der Sonne
$A=$ Azimut (von Süd!)
$\varphi = $ Geografische Breite des Ortes.
Im vorliegenden Fall wollen wir den Azimut von Nord berechnen und nehmen daher mit $\cos(180^{\circ}-x) = \color{#ff0000}{-}\cos(x)$ die Gleichung
$$\sin(\delta_{\odot}) = \sin(h)\cdot\sin(\varphi) \color{#ff0000}{+} \cos(A)\cdot\cos(h)\cdot\cos(\varphi)\tag{7}$$
Ein Umstellen dieser Gleichung liefert
$$\cos A = \frac{\sin\delta_{\odot} - \sin h\cdot\sin\varphi}{\cos h\cdot\cos\varphi} \tag{8}$$ bzw.
$$ A = \arccos\left(\frac{\sin\delta_{\odot} - \sin h\cdot\sin\varphi}{\cos h\cdot\cos\varphi}\right)\tag{9}$$
Refraktion und scheinbarer Sonnenradius
Bekanntlich gilt als Auf- bzw. Untergang der Sonne, wenn der obere Rand der Sonnenscheibe den Horizont überschreitet. Man muss nun die Refraktion $R$ am Aufgangspunkt sowie den scheinbaren momentanen Sonnenhalbmesser $s$ berücksichtigen, so dass für den oberen Rand die wahre Höhe gilt:
$$ h_w = h - R - s\tag{10}$$
Die Refraktion wird mit der Gleichung von G. Bennet ermittelt. Man hat mit $h$ in Grad die Beziehnug
$$ R = \frac{1}{\tan\left(h + \frac{7.31}{h + 4.4} \right)}\tag{11}$$
in Bogenminuten. Für die Sonnenhöhe $h = 0$ ergibt sich für die Refraktion am Horizont
$$R = \frac{1}{\tan\left(0 + \frac{7.31}{0 + 4.4} \right)} = 34\overset{'}{.}47753 = 0\overset{\circ}{.}57463\tag{12}$$
Den Halbmesser der Sonne erhält man über die Beziehung
$$ s = \frac{s_0}{R} = \frac{959\overset{''}{.}63}{R}\tag{13}$$
wobei $R$ wieder der Abstand Erde-Sonne in astronomischen Einheiten bedeutet. Für den obigen Zeitpunkt der Wintersonnenwende ergibt sich $R = 1.00357487\;AU$ und damit
$$s = \frac{959\overset{''}{.}63}{1.00357487} = 956\overset{''}{.}2 = 0\overset{\circ}{.}26561\tag{14}$$
Der Azimut $A$ muss daher für die wahre Sonnenhöhe $h_w = h - R - s = 0 - 0\overset{\circ}{.}57463 - 0\overset{\circ}{.}26561 = -0\overset{\circ}{.}84024$ berechnet werden.
$$\begin{align} A &= \arccos\left( \frac{\sin\delta_{\odot} - \sin h_w\cdot\sin\varphi}{\cos h_w\cdot\cos\varphi} \right) \\ &= \arccos\left( \frac{\sin(-24.153908) - \sin(-0.84024)\cdot\sin(51.19825)}{\cos(-0.84024)\cdot\cos(51.19825)} \right) \\ &= \arccos(-0.63483261851813) \\ &= 129\overset{\circ}{.}4075712 \end{align}\tag{15}$$ Dies ist der Hauptwinkel von Nord (Sonnenaufgang), den zweiten Winkel findet man mit $360^{\circ} - A = 230\overset{\circ}{.}5924288$ (Sonnenuntergang).
Sonnen-Azimute für die Wintersonnenwende $27.01.\text{-}4800,13:05\;TD$:
Sonnenaufgang: $129\overset{\circ}{.}4$
Sonnenuntergang: $230\overset{\circ}{.}6$
Ein Vergleich der berechneten Werte mit der Abb.1 zeigt, dass die Winkelabweichung der südlichen Tore doch nicht ganz zu vernachlässigen ist. Dies könnte natürlich dem Umstand geschuldet sein, dass die Kreisberechnung des äußeren Walls nicht exakt sein kann, da die Punkte in der Grafik „von Hand“ gesetzt wurden und der „Mittelpunkt“ auch nicht exakt in der Mitte der Anlage liegt. Die Abweichungen sind aber auch nicht so schlecht, dass die Annahme, die südlichen Tore waren in Richtung des Sonnenauf-/untergangs zur Wintersonnenwende ausgerichtet, gänzlich verworfen werden kann.
Das Nordtor
Das prominenteste Tor der Anlage ist das nördliche Tor. Es ist etwas breiter als die beiden südlich gelegenen Tore, dies sieht man besonders gut, wenn man direkt in der Anlage steht. Der Azimut der Blickrichtung durch das nördliche Tor hat einen Wert von etwa $7\overset{\circ}{.}1$, siehe Abb.1. Dieser Wert schwankt je nach Genauigkeit der Vermessung der Anlage etwa zwischen $6\overset{\circ}{.}0$ und $7\overset{\circ}{.}5$.
Weder die Sonne, der Mond noch die Planeten erreichen die erforderliche Deklination $\delta$, um an diesem Azimutwert aufgehen zu können. Um zu überprüfen, ob das Nordtor ebenfalls eine Art „Richtungsanzeiger“ gewesen sein soll, könnte man hier nur den Aufgang eines hellen Sterns vermuten. Wir wissen aber nicht, ob das Nordtor überhaupt eine astronomische Bedeutung hatte. Nichtsdestotrotz soll diese These hier getestet werden.
Sterne, die zu weit nördlich stehen, gehen gemäß der Zirkumpolar-Bedingung $\delta \gt 90^{\circ} - \varphi$ nicht mehr unter, sie sind zirkumpolar.
Für Goseck haben wir $\delta_{zirk} = 90^{\circ} - 51\overset{\circ}{.}19825 \approx 38\overset{\circ}{.}8$.
Man muss nun jene hellen Sterne betrachten, die zum Zeitpunkt der Nutzung der Anlage eine Deklination kleiner als $38\overset{\circ}{.}8$ besaßen. Gegenwärtig gibt es am nördlichen Sternenhimmel nur 10 Sterne mit einer scheinbaren Helligkeit $m \gt 1\overset{m}{.}5$, die dafür überhaupt in Frage kommen, siehe nachstehende Tabelle 3. Die Daten stammen aus der SIMBAD Datenbank.
Tabelle 3 | Eigenbewegung in | |||
---|---|---|---|---|
Stern | mag | $\delta\;(J2000)$ | $\alpha$ [mas/Jahr] | $\delta$ [mas/Jahr] |
Arkturus | $-0\overset{m}{.}05$ | $19\overset{\circ}{.}182409$ | $-1093.39$ | $-2000.06$ |
Vega | $+0\overset{m}{.}03$ | $38\overset{\circ}{.}783689$ | $200.94$ | $286.23$ |
Kapella | $+0\overset{m}{.}08$ | $45\overset{\circ}{.}997991$ | $75.25$ | $-426.89$ |
Procyon | $+0\overset{m}{.}37$ | $5\overset{\circ}{.}224988$ | $-714.59$ | $-1036.80$ |
Beteigeuze | $+0\overset{m}{.}42$ | $7\overset{\circ}{.}407064$ | $27.54$ | $11.30$ |
Altair | $+0\overset{m}{.}76$ | $8\overset{\circ}{.}868321$ | $536.23$ | $385.29$ |
Aldebaran | $+0\overset{m}{.}86$ | $16\overset{\circ}{.}509302$ | $63.45$ | $-188.94$ |
Pollux | $+1\overset{m}{.}14$ | $28\overset{\circ}{.}026199$ | $-626.55$ | $-45.80$ |
Deneb | $+1\overset{m}{.}25$ | $45\overset{\circ}{.}280339$ | $2.01$ | $1.85$ |
Regulus | $+1\overset{m}{.}40$ | $11\overset{\circ}{.}967209$ | $-248.73$ | $5.59$ |
Man beachte, dass die Größen der Eigenbewegung in den letzten beiden Spalten in Millibogensekunden pro Jahr gegeben sind.
Nun berechnet man zuerst die Eigenbewegung der Sterne (proper motion) zurück zur Zielepoche $J\text{-}4800$, genauer gesagt, zur dortigen Wintersonnenwende. Im obigen Abschnitt haben wir diese bereits ermittelt am 27.01.−4800, 13:05:00 TD bzw. $JD = -32115.954861$. Die Differenz der Epochen beträgt nun
$\Delta JD = -32115.954861 - 2451545.0 = -2483660.954861$ Tage, oder in julianischen Jahrhunderten
$$t = \frac{-2483660.954861}{36525} = -67.998931002355$$
Des weiteren lautet die Epochendifferenz in julianischen Jahren − also 100mal so viel −
$$\Delta J = -6799.8931002355$$
Unter der Annahme, dass die Eigenbewegung des Sterns konstant über die Zeit erfolgt, erhält man z.B. für Procyon (alf CMi) die Deklinationsänderung
$$\Delta \delta = \frac{-1036.80}{1000}\cdot (-6799.8931002355) = 7050\overset{''}{.}13 = 1\overset{\circ}{.}195837$$
Der Deklinationswert $\delta_{J2000}$ muss nun um diesen Wert korrigiert werden, bevor man in die Berechnung der Präzession geht. Die Drehung der Erdachse verschiebt die gegebenen $J2000$ Koordinaten des Sterns über einen so langen Zeitraum beträchtlich. Die Formeln zur Berechnung der Präzession findet man auf dieser Seite (Tabelle 2: Äquator), mit $T = t$. Es ist zu beachten, dass man für die Berechnung des Aufgangsazimuts nur die Koordinate der korrigierten Deklination $\delta$ benötigt, zur Präzessionsberechnung selbst aber sowohl Rektaszension $\alpha$ als auch Deklination $\delta$.
Für Procyon: $\delta_{\text{alp CMi}} = 5\overset{\circ}{.}224988 + 1\overset{\circ}{.}195837 = 7\overset{\circ}{.}183357$
Mit diesem Wert erhält man nach der Präzessiondrehung die Deklination Procyons mit $\delta_{\text{alp CMi}} = -4\overset{\circ}{.}437644$.
Nun kann man wie oben den Azimut mittels der Beziehung
$$A = \arccos\left(\frac{\sin\delta - \sin h'\cdot\sin\varphi}{\cos h'\cdot\cos\varphi}\right)\tag{16}$$
berechnen. Dabei ist $h'$ die um die Refraktion $R$ korrigierte Aufgangshöhe des Sterns, welche wieder mit der Gleichung von G. Bennet ermittelt wird (siehe oben). Für $h = 0^{\circ}$ erhält man z.B. $R = 34\overset{'}{.}4775 = 0\overset{\circ}{.}574626$, und daher $h' = 0^{\circ} - 0\overset{\circ}{.}574626 = -0\overset{\circ}{.}574626$.
Mit dem Breitengrad von Goseck $\varphi = 51\overset{\circ}{.}19825$ ergibt sich für Procyon
$$\begin{align} \large A &= \arccos\left( \frac{\sin (-4\overset{\circ}{.}437644) - \sin (-0\overset{\circ}{.}574626)\cdot\sin (51\overset{\circ}{.}19825)}{\cos (-0\overset{\circ}{.}574626)\cdot\cos (51\overset{\circ}{.}19825)} \right) \\ &= 96\overset{\circ}{.}37353294944621 \approx 96\overset{\circ}{.}374 \end{align}$$ Der Stern Procyon kommt also schon mal nicht für einen Aufgang am Nordtor infrage. Die oben stehende Berechnung wurde nun für alle 10 Sterne der Tabelle 3 durchgeführt. Dabei wurde beim Aufgang nicht nur für die Höhe $h = 0^\circ$ gerechnet, sondern zusätzlich für die Höhen $h = 2^\circ$ und $h = 5^\circ$. Die Ergebnisse sind in Tabelle 4 zusammengefasst.
Tabelle 4 | Deklination $\delta$ | Aufgangs-Azimut für | ||||
---|---|---|---|---|---|---|
Stern | mag | $J2000$ | $J\text{-}4800$ | $h=0{^\circ}$ | $h=2{^\circ}$ | $h=5{^\circ}$ |
Arkturus | $-0\overset{m}{.}05$ | $+19\overset{\circ}{.}182$ | $+57\overset{\circ}{.}061$ | zirk. | zirk. | zirk. |
Vega | $+0\overset{m}{.}03$ | $+38\overset{\circ}{.}784$ | $+50\overset{\circ}{.}447$ | zirk. | zirk. | zirk. |
Kapella | $+0\overset{m}{.}08$ | $+45\overset{\circ}{.}998$ | $+16\overset{\circ}{.}056$ | $63\overset{\circ}{.}007$ | $66\overset{\circ}{.}125$ | $70\overset{\circ}{.}260$ |
Procyon | $+0\overset{m}{.}37$ | $+5\overset{\circ}{.}225$ | $-4\overset{\circ}{.}.4376$ | $96\overset{\circ}{.}374$ | $99\overset{\circ}{.}228$ | $103\overset{\circ}{.}245$ |
Beteigeuze | $+0\overset{m}{.}42$ | $+7\overset{\circ}{.}407$ | $-17\overset{\circ}{.}521$ | $117\overset{\circ}{.}905$ | $121\overset{\circ}{.}164$ | $125\overset{\circ}{.}971$ |
Altair | $+0\overset{m}{.}76$ | $+8\overset{\circ}{.}868$ | $+16\overset{\circ}{.}936$ | $61\overset{\circ}{.}486$ | $64\overset{\circ}{.}644$ | $68\overset{\circ}{.}818$ |
Aldebaran | $+0\overset{m}{.}86$ | $+16\overset{\circ}{.}509$ | $-15\overset{\circ}{.}042$ | $113\overset{\circ}{.}685$ | $116\overset{\circ}{.}820$ | $121\overset{\circ}{.}389$ |
Pollux | $+1\overset{m}{.}14$ | $+28\overset{\circ}{.}026$ | $+13\overset{\circ}{.}780$ | $66\overset{\circ}{.}883$ | $69\overset{\circ}{.}912$ | $73\overset{\circ}{.}962$ |
Deneb | $+1\overset{m}{.}25$ | $+45\overset{\circ}{.}280$ | $+37\overset{\circ}{.}914$ | $\color{#f00}{6\overset{\circ}{.}713}$ | $19\overset{\circ}{.}228$ | $28\overset{\circ}{.}488$ |
Regulus | $+1\overset{m}{.}40$ | $+11\overset{\circ}{.}967$ | $+19\overset{\circ}{.}929$ | $56\overset{\circ}{.}189$ | $59\overset{\circ}{.}512$ | $63\overset{\circ}{.}852$ |
Bei den Sternen Arkturus und Vega erhält man für das Argument des Arcuscosinus einen Wert $\gt 1$, diese Sterne sind daher zirkumpolar. Wie man sieht kommt lediglich der Stern Deneb (alf Cyg) mit einem Aufgangsazimut von $6\overset{\circ}{.}713$ für das Nordtor infrage.
Extinktion
Was noch berücksichtigt werden muss ist die Extinktion, also die Abschwächung des Lichts eines Himmelskörpers in Größenklassen. Die Extinktion kann theoretisch errechnet werden, siehe dazu hier. Grundlegend kann gesagt werden, dass die Extinktion umso größer ist, je größer die Zenitdistanz $z$ des Himmelkörpers ist (= je geringer seine Höhe $h$). Das Licht muss umso länger die Erdatmosphäre durchlaufen, je größer die Zenitdistanz des Objekts ist. Um die ohnehin theoretische Rechnung hier nicht noch mehr zu strapazieren, begnügen wir uns mit Tabellenwerten. Folgende Extinktionstabelle stammt aus der »Kleinen praktischen Astronomie« von P. Ahnert und von der Sternwarte Höfingen.
Tabelle 5 | |||||||||||
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$z[^{\circ}]$ | $E(z)[^m]$ | $z$ | $E(z)$ | $z$ | $E(z)$ | $z$ | $E(z)$ | $z$ | $E(z)$ | $z$ | $E(z)$ |
$0 $ | $0.00$ | $45$ | $0.09$ | $56$ | $0.18$ | $65$ | $0.32$ | $74$ | $0.60$ | $82$ | $1.18$ |
$20$ | $0.01$ | $47$ | $0.10$ | $57$ | $0.19$ | $66$ | $0.34$ | $75$ | $0.65$ | $83$ | $1.32$ |
$25$ | $0.02$ | $48$ | $0.11$ | $58$ | $0.20$ | $67$ | $0.36$ | $76$ | $0.70$ | $84$ | $1.49$ |
$30$ | $0.03$ | $50$ | $0.12$ | $59$ | $0.22$ | $68$ | $0.39$ | $76$ | $0.70$ | $85$ | $1.72$ |
$35$ | $0.04$ | $51$ | $0.13$ | $60$ | $0.23$ | $69$ | $0.42$ | $77$ | $0.76$ | $86$ | $2.04$ |
$37$ | $0.05$ | $52$ | $0.14$ | $61$ | $0.25$ | $70$ | $0.45$ | $78$ | $0.82$ | $87$ | $2.48$ |
$40$ | $0.06$ | $53$ | $0.15$ | $62$ | $0.26$ | $71$ | $0.48$ | $79$ | $0.90$ | $88$ | $3.10$ |
$41$ | $0.07$ | $54$ | $0.16$ | $63$ | $0.28$ | $72$ | $0.52$ | $80$ | $0.98$ | ||
$43$ | $0.08$ | $55$ | $0.17$ | $64$ | $0.30$ | $73$ | $0.56$ | $81$ | $1.07$ |
Die Extinktion $E(z)$ muss nur noch zu der Kataloghelligkeit $m$ des Sterns addiert werden. Es gilt dann für die beobachtete (tatsächliche, reale) Größenklasse $m_{obs}$:
$$m_{obs} = m + E(z)\tag{17}$$
Für den Stern Deneb ergibt sich für eine Höhe von $h = 2^\circ$ ($z = 88^\circ$)
$$m_{obs} = +1\overset{m}{.}25 + 3\overset{m}{.}10 = 4\overset{m}{.}35$$
Deneb wäre also nicht mehr wirklich ein „heller Stern“, damit er als Aufgangsstern für das Nordtor von Goseck relevant wäre. Alles in allem lässt sich also die These, dass auch das Nordtor eine astronomische Funktion hatte, nicht bestätigen. Vielleicht diente das Tor auch einem ganz anderen, profaneren Zweck (z.B. nur als Eingangstor). Vielleicht war es einfach der Weg zum nächstgelegenen Ort? Wir wissen es nicht. Solche Fragen müssen Archäologen und Historiker beantworten.