====== Periheldrehung ====== ===== Einleitung ===== Die Periheldrehung bezeichnet die Tatsache, dass der sonnennächste Punkt einer Umaufbahn (Perihel) im Laufe der Zeit nicht feststeht, sondern langsam weiterwandert. Dadurch beschreibt der umlaufende Körper keine geschlossene Ellipse mehr, sondern eine "Rosettenbahn". Bildlich gesprochen: Statt immer dieselbe Ellipse zu durchlaufen, "dreht" sich die Ellipse langsam weiter, sodass der Planet eine Rosette um die Sonne zeichnet. Im Idealfall des Zweikörperproblems, wenn also nur //ein// Planet und die Sonne sich nach dem Newtonschen Gravitationsgesetz beeinflussen, wäre die Bahn eine perfekte Ellipse gemäß der Keplerschen Gesetze. Das Perihel bliebe fest. Es gibt im Sonnensystem aber immer Störungen durch andere Planeten, die Gravitationskräfte der anderen Planeten verzerren die reine Zweikörperellipse. Das führt zu langsamen Verschiebungen der Bahnelemente, darunter auch der Perihelpunkt. Das Newtonsche Gesetz mit einer exakten $\frac{1}{r^2}$-Abhängigkeit ergäbe immer geschlossene Ellipsen. Jede Abweichung -- z.B. durch die Abplattung der Sonne -- führt dazu, dass die Ellipse nicht mehr exakt geschlossen ist, die Bahn rotiert. Zusätzlich gibt es eine kleine Korrektur durch die Raumzeitkrümmung der Sonne. Diese bewirkt beim Planeten Merkur eine Periheldrehung von etwa $43''$ pro Jahrhundert -- genau der berühmte Effekt, den die Allgemeine Relativitätstheotrie korrekt vorhersagt. Im Folgenden soll der Effekt der Periheldrehung mathematisch näher beleuchtet werden. ===== Nichtrelativistische Betrachtung ===== Man beginnt klassisch mit der Energiegleichung: $$E = \frac{1}{2}\cdot m\cdot \dot{r}^2 + \frac{1}{2}\cdot \frac{L^2_{\nu}}{m\cdot r^2} - G\cdot \frac{M_S\cdot m}{r}\tag{1}$$ Um die Periheldrehung beschreiben zu können, braucht man ein Störpotential $S(r)$ als Ursache, das zur Gleichung (1) addiert wird: $$S(r) = - \frac{\gamma}{r^3}\tag{2}$$ Die Energiegleichung ist zeitlich konstant. $E$ ist damit die erste Erhaltungsgröße. Die Bilanz $$V_{\text{eff}} (r) = \frac{1}{2}\cdot \frac{L^2_{\nu}}{m\cdot r^2} - G\cdot \frac{M_S\cdot m}{r}$$ wird Effektivpotential genannt. Durch Ableitungen nach dem Winkel $\nu$ und der Zeit $t$ erhält man eine Differentialgleichung 2. Ordnung (DGL abgekürzt): $$m\cdot\ddot{r} - \frac{L^2_{\nu}}{m\cdot r^3} + G\cdot \frac{M_S\cdot m}{r^2} + 3\cdot \frac{\gamma}{r^4} = 0\tag{3}$$ mit $G$ als der [[:wichtige_konstanten#naturkonstanten|Gravitationskonstanten]] und $M_S$ der [[:wichtige_konstanten#entfernungen_und_massen|Sonnenmasse]] und dem senkrecht auf der Bahnebene stehenden Drehimpuls $L_{\nu}$: $$L_{\nu} = m\cdot r^2\cdot \dot{\nu} \quad\text{oder}\quad \vec{L}_{\nu} = \vec{r} \times m\cdot \dot{\vec{r}}\tag{4}$$ Auch der Bahndrehimpuls $L_{\nu}$ ist zeitlich konstant und damit die zweite Erhaltungsgröße. Diese komplex wirkende Darstellung (Gleichung 3) muss jetzt nach $r$ integriert werden. Dies geschieht mit einem Kunstgriff, was die Gleichung vereinfacht. Man setzt: $$r(\nu(t)) = \frac{1}{u(\nu(t))}\tag{5}$$ Dann gilt mit Hilfe des Bahndrehimpulses $L_{\nu}$: $$\frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}t} = \frac{L_{\nu}}{m}\cdot u^2\cdot \frac{\mathrm{d}}{\mathrm{d}\nu} \Rightarrow \ddot{r} = - \frac{L_{\nu}^2 \cdot u^2}{m^2}\cdot \ddot{u}\tag{6}$$ Daraus folgt für die DGL (3) mit einigen Umformungen: $$\ddot{u} + u = k + \frac{\kappa}{k}\cdot u^2\tag{7}$$ mit $$k = \frac{G\cdot M_S\cdot m^2}{L_{\nu}^2} = \text{konst.}\tag{8}$$ und mit $\kappa$ hat man bereits den Wert der Periheldrehung: $$\delta\nu = 2\cdot\pi\cdot\kappa = 6\cdot\pi\cdot\gamma\cdot\frac{G\cdot M_S\cdot m^3}{L_{\nu}^4}\tag{9}$$ Man kann das astronomische Phänomen bildlich in Abb. 1 darstellen: {{ apsidendrehung.png?700 |}} Die Lösung der DGL (7) erfolgt mit dem quasi-linearen Ansatz: $$U(\nu) = u(\nu) + \kappa\cdot s(\nu)\tag{10}$$ Und das führt zurück auf den Radius $r = \frac{1}{u}$: $$r(\nu) = \frac{p}{1 + \epsilon\cdot\cos\big[(1 - \kappa)\cdot\nu\big]}\tag{11}$$ mit $$\epsilon = \sqrt{1 + (1 - \gamma)\cdot\frac{2\cdot p\cdot E}{G\cdot M_S\cdot m^3}}\tag{12}$$ und mit dem Bahnparameter $p$. Er ist der reziproke Wert aus Gleichung (8): $$p = \frac{L_{\nu}^2}{G\cdot M_S\cdot m^2} = a\cdot (1 - \epsilon^2)\tag{13}$$ Die Apsidenlinie dreht sich pro Umlauf um den Betrag $\dot{\varpi}_g$ = $2\cdot \pi\cdot \kappa$ $\widehat{=}$ 360$^{\circ}\kappa$. $a$ ist die große Halbachse und $m$ die Masse des betrachteten Himmelsobjekts. Die Beträge der einzelnen Planeten sind in der nachfolgenden Tabelle 1 aufgelistet (Einheiten sind in $\text{''}$/Jhdt.): {{tablelayout?rowsHeaderSource=Auto&colwidth="100px,150px,150px,100px,100px,150px,150px,100px,"&float=center}} ^ Tabelle 1 |||||||| ^ # ^ IMCCE ^ JPL |^ # ^ IMCCE ^ JPL || ^ Planet ^ Beobachtung ^ Beobachtung ^ Theorie ^ Planet ^ Beobachtung ^ Beobachtung ^ Theorie ^ | Merkur: | 5.719 | 5.738 | 5.540 | Jupiter: | 7.758 | 6.552 | 7.510 | | Venus: | 0.175 | 2.045 | 2.070 | Saturn: | 20.395 | 19.505 | 18.590 | | Erde: | 11.612 | 11.446 | 12.790 | Uranus: | 3.215 | 3.336 | 2.750 | | Mars: | 15.980 | 16.281 | 17.750 | Neptun: | 1.050 | 0.364 | 0.670 | Man erkennt an Venus und Neptun, dass die Periheldrehung von der numerischen Exzentrizität $\epsilon$ der Planetenbahn abhängt. Bringt man den Bahnparameter $p$ in die Periheldrehung $\kappa$ ein, so erkennt man, dass $\kappa$ von der numerischen Bahnexzentrizität $\epsilon$ abhängt: $$\kappa = \frac{3\cdot \gamma\cdot m}{a\cdot L_{\nu}^2\cdot (1 - \epsilon^2)}\tag{14}$$ Der Ausdruck erklärt, warum die Periheldrehung bei $\epsilon = 0$ nicht verschwindet. Die Störung $\gamma$ wirkt auch auf Kreisbahnen. ===== Relativistische Betrachtung ===== Die allgemeine Relativitätstheorie Einsteins erklärt eine zusätzliche Apsidendrehung der Planeten. Der relativistische Effekt wird mit dem Potentialfaktor $\gamma$ und dem Bahnparameter $p$ beschrieben: $$\gamma = \frac{G\cdot M_S}{c^2}\cdot L_{\nu}^2\tag{15}$$ und $$p = \frac{L_{\nu}^2}{G\cdot M_S\cdot m^2} = a\cdot (1 - \epsilon^2)\tag{16}$$ Das relativistische Phänomen ist sehr klein und wurde bei den inneren Planeten nachgewiesen (Tabelle 2). $$\dot{\varpi}_c = \frac{6\cdot\pi\cdot G\cdot M_S}{a\cdot c^2\cdot (1 - \epsilon^2)} = \frac{0\overset{''}{.}317555132442}{a\cdot (1 - \epsilon^2)}\tag{17}$$ Mit $G$ als der Gravitationskonstanten, $M_S$ der Sonnenmasse und $c$ als der Lichtgeschwindigkeit als wichtige [[:wichtige_konstanten|Konstanten]]. Die Umlaufszeit $U$ ist in (tropischen) Jahren gehalten. {{tablelayout?rowsHeaderSource=Auto&colwidth="100px,100px,170px"&float=center}} ^ Tabelle 2 ||| ^ Die relativistische Apsidendrehung $\dot{\varpi}_c$ ||| | Planet | Theorie | Beobachtung | | Merkur: | 42.98 | 43.11 | | Venus: | 8.6 | 8.4 | | Erde: | 3.8 | 5.0 | | Mars: | 1.4 | 1.5 | Der relativistische Effekt wird nicht mit einem Gravitationspotential wie bisher beschrieben, sondern durch die Berechnung mit der Schwarzschild-Metrik. Diese beschreibt die Apsidendrehung durch Gravitationsfelder (keine Gravitationspotentiale).